TEXT A: Die Youtube-OmaHelgas Fans lieben ihre Stimme. Am Samstagabend kurz nach 20 Uhr sitzt Janik in Ettlingen bei Karlsruhe zwei Meter links von Helga am Schreibtisch und sieht auf den Computerbildschirm. Er sieht dort, wie seine Oma aus dem Märchenbuch vorliest. Zwei Stunden machen sie das so. An fast jedem Samstagabend. Was Janik auf seinem Bildschirm sieht, sehen Tausende Menschen auf ihren Bildschirmen. Der Enkel Janik, 15, und seine Oma, 85, sind Internetstars. Einmal in der Woche liest Helga online Märchen vor. Janik kümmert sich um die Technik, denn davon hat seine Oma keine Ahnung.
Vor einem Jahr erstellten (1) sie bei Youtube das Profil der Märchenoma mit einem Foto, auf dem Helga ein großes Buch in ihren Händen hält. Heute hat ihr Youtube-Kanal mehr als 180 000 Abonnenten. Ihre Videos sind bisher mehr als acht Millionen Mal gesehen worden. Helga erzählt Geschichten, mit denen die meisten Menschen in Janiks Alter nichts anfangen (2) können. Im Internet, mit dem die meisten Menschen in Helgas Alter nichts anfangen können.
Wenn Janik früher bei seiner Oma übernachtete, haben sie mit Legosteinen gespielt, oder Helga las Märchen vor. Irgendwann wurde Janik zu all, saß oft am Computer. Weil er weiter etwas mit seiner Oma machen wollte, schlug er ihr vor, online vorzulesen. ,,Janik ist wie ein Sohn für mich", sagt Helga. Sie erinnert sich, dass Janik eines Tages zu ihr kam, und sagte, die Menschen würden nicht mehr miteinander sprechen, sondern nur noch auf ihre Handys starren. Gemeinsam schufen sie deshalb einen Ort der Farbe und Poesie, wie Helga sagt. Sie nennen ihn Märcheninsel.
Die Märchenoma liest nicht besonders gut vor, und während ihrer Sendung passiert nie etwas Aufregendes. Helga aber befriedigt für viele Menschen die Sehnsucht nach Ruhe, nach Geborgenheit, nach zwei Stunden heiler Welt. Viele Zuschauer erzählen in den Kommentaren unter den Videos von verstorbenen oder schwerkranken Großeltern. Helga ist eine Art Ersatzoma für 180 000 Menschen.
Der ganz große Erfolg kam mit einem der erfolgreichsten deutschen Youtuber. Im Januar bezeichnete er sich in einem seiner Mdeos als Fan der Märchenoma. Tausende Menschen machten danach liebevolle Kommentare und spendeten insgesamt 4500 Euro für eine Reise nach Tirol - weil Helga in einem früheren Video gesagt hatte: ,,Tirol ist schön, da wollt' ich mein Leben lang hin, hab's nie geschafft." Helga bedankte sich am nächsten Täg in einer Videobotschaft. Sie erklärte, schwer gehbehindert (3) zu sein
und nicht mehr verreisen zu können. ,,Träume sind oft schöner als die Wirklichkeit. Was hindert mich daran, in Gedanken auf Reisen zu gehen?"
Anfang Juni gewannen Helga und Janik den Webvideopreis in Deutschland in der Kategorie Livestream.
Nach: Fabian SWIDRAK, Süddeutsche Zeitung, 06.08.2017
1 erstellen : créer
2 mit etwas nichts anfangen können : ne rien comprendre à
3 gehbehindert : à mobilité réduite
Text B: Wie Berliner im Netz ihren Nachbarn näher kommenDie Initiative ,,Polly & Bob" wurde in Friedrichshain in Berlin gegründet und startet am 26. Juni ein Nachbarschaftsnetzwerk. Sie hat in den vergangenen Jahren schon einige Projekte auf die Beine gestellt wie zum Beispiel Wohnzimmerkonzerte "Singing Wohnzimmers" und Spieleabende, bei denen sich Leute aus dem eigenen Viertel kennenlernen können. Gründer der Initiative ist Volker Siems.
Er hat eine Vision: Die Menschen offline (l) zusammenzubringen - und das durch die Hilfe des Internets. Wenn man sich vor dem 26. Juni registriert, bekommt man eine zweijährige Gratismitgliedschaft. Nach dem Start kostet die Mitgliedschaft 2 Euro pro Monat.
Das Projekt ist für das ganze Berliner Stadtgebiet. Das Geld wird in achbarschaftsprojekte investiert. Und das Interesse ist groß: Bereits vor dem Start haben sich knapp 3000 Berliner registriert - vor allem Menschen aus Friedrichshain. ,,Wir wollen die Menschen wieder zusammenbringen", sagt Volker Siems. Denn in der heutigen Zeit, in der alles schnell, flexibel und mobil sein muss, hätten nachbarschaftliche Strukturen keine Zeit mehr zu wachsen, ,,Was in der flexiblen und schnellen Welt verloren geht, ist das Gefühl, sich zuhause zu fühlen", sagt der 42-
Jährige. ln der Community von ,,Polly & Bob" sollen Leute zuerst online Kontakte schließen, um sich offline zu treffen. ,,Wir wollen das Internet als Werkzeug2 benutzen und nicht vom Internet benutzt werden. Bei uns geht es um Nachbarschaftsfeeling. Und ein einstündiger Spieleabend ist viel erfüllender, als eine Stunde bei Facebook zu sein", sagt Volker Siems.
Nach: Nadine PENSOLD, www.berliner-zeitung.de, 02.06.2017
1 offline // online.
2 das Werkzeug: I'outil.
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bbildung: 
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